Wut und Trä­nen – Frau­en­bo­xen bei den Olym­pi­schen Som­mer­spie­len 2024 in Paris

30. Aug 2024

Frau­en­bo­xen bei den Olym­pi­schen Som­mer­spie­len 2024 in Paris

Gast­bei­trag der Euro­päi­schen Gesell­schaft für Geschlech­ter­ge­rech­tig­keit (EGG)
Zuerst erschie­nen am 5. August 2024 auf der Web­site von EGG Österreich

Dabei gewe­sen zu sein ist das ein­zig noch denk­ba­re Trost­pflas­ter, das sich die Frau­en auf­kle­ben kön­nen, die im unfai­ren Kampf unter­la­gen.
Vor Mil­lio­nen­pu­bli­kum geschla­gen, beschämt, ver­letzt, besiegt, tief ent­täuscht, auf Social Media ver­spot­tet, von vorn­her­ein chan­cen­los gewe­sen und sich danach noch ent­schul­di­gen müs­sen, weil kei­ne „guten“ Ver­lie­re­rin­nen, wie es sich für Frau­en gehört. Sie waren nicht artig, wur­den unter Druck gesetzt und dann nahm man ihnen noch den letz­ten Rest Wür­de und Inte­gri­tät. Wie tröst­lich kann das Olym­pi­sche Mot­to noch wirken? 

Vor­ge­schich­te

Das Gesamt­bild der Situa­ti­on muss man erst in vol­ler Trag­wei­te erfas­sen.
Das Inter­na­tio­na­le Olym­pi­sche Komi­tee (IOC) schaff­te im Jahr 2000 den sehr ein­fa­chen Spei­chel-Test zur Fest­stel­lung des Geschlechts ab, obwohl der Groß­teil der Sport­le­rin­nen dage­gen war. Die Mes­sung von Tes­to­ste­ron­wer­ten wur­de 2021 expli­zit durch eine neue Poli­tik der „Fair­ness, Inklu­si­on und Anti­dis­kri­mi­nie­rung auf Basis von ‚gen­der iden­ti­ty‘ und ‚Geschlechts­va­ria­tio­nen‘“ ersetzt – dar­ge­legt in einem wider­sprüch­li­chen und inko­hä­ren­ten Pam­phlet.
Damit setzt das IOC die (völ­lig unver­bind­li­chen) For­de­run­gen der Yog­ya­kar­ta Prin­zi­pi­en 2017 um: „Rege­lun­gen strei­chen oder nicht ein­füh­ren, die Sport­le­rin­nen zwin­gen oder in ande­rer Wei­se unter Druck set­zen, sich unnö­ti­gen […] Tests bzw. Ver­fah­ren aus­zu­set­zen, damit sie als Frau­en am Sport teil­neh­men kön­nen“. (Zur Erklä­rung: bei „Sport­le­rin­nen“ und „Frau­en“ sind Män­ner mit­ge­meint.)
Eini­ge inter­na­tio­na­le Sport­ver­bän­de beschlos­sen dar­auf­hin eige­ne Regu­la­ri­en. Sie ver­pflich­te­ten sich rich­ti­ger­wei­se dazu, den Frau­en­sport zu schüt­zen und bereits exis­tie­ren­den Miss­brauch abzu­stel­len.
Seit­her liegt das IOC mit die­sen Ver­bän­den im Clinch.

Son­der­fall Boxen

Das IOC kün­dig­te 2023 den Ver­trag mit der Inter­na­tio­nal Boxing Asso­cia­ti­on (IBA) und über­nahm alle Richt­li­ni­en von ihr – mit Aus­nah­me der geschlechts­be­zo­ge­nen Zulassungskriterien. 

Bei der IOC Boxing Unit gilt nun geschlecht­li­che Selbst­iden­ti­fi­ka­ti­on. Frau ist, wer es sagt und aus wel­chen Grün­den auch immer den Geschlechts­ein­trag „weib­lich“ im Rei­se­pass führt.
That’s it.
Somit sind sämt­li­che Geschlechts­merk­ma­le und das Aus­se­hen voll­kom­men belang­los, jeder Test uner­wünscht und irrele­vant.
Die­se Defi­ni­ti­on von „Frau“ bestä­tig­te Tho­mas Bach, Prä­si­dent des IOC, bei sei­ner Pres­se­kon­fe­renz am 3. August 2024. Auch hier die Regent­schaft der Yog­ya­kar­ta Prin­zi­pi­en: Frau sein ist Men­schen­recht, das jedem Mann zukommt. Das ist mei­ner Mei­nung nach der letz­te Beweis insti­tu­tio­nel­ler Gefan­gen­schaft des IOC im Gen­de­ris­mus. Und weil es sich schon bis­her so gut bewährt hat, wur­de zusätz­lich die Nebel­wand DSD (Dif­fe­ren­ces of Sexu­al Deve­lo­p­ment) vorgeschoben. 

Dass nun ver­mut­lich Män­ner mit nor­mal männ­li­chen Tes­to­ste­ron­le­vels und den bekann­ten kör­per­li­chen Vor­tei­len gegen Frau­en boxen, geht auf die Kap­pe des IOC und derer, die dar­auf ihre Geschäfts­mo­del­le auf­ge­baut haben. Die tage­lan­gen uner­träg­li­chen Aus­ein­an­der­set­zun­gen auf Social Media und die Wel­le kata­stro­pha­ler Des­in­for­ma­ti­on eben­so. Den Kri­ti­kern wirft man Hate­speech vor, das Bil­ligs­te wirk­lich aller mög­li­chen Argumente.

Wir haben kei­ne Nach­wei­se dar­über, wel­chem Geschlecht die Boxer Khe­lif, Cari­ni, Lin, Tur­di­be­ko­va, Hamo­ri und alle ande­ren ange­hö­ren. Die Kala­mi­tät, die dar­aus ent­stan­den ist, ist nicht ledig­lich ein Ver­se­hen des IOC – sie ist genau das, was das IOC will. Das ist Sport, der den erklär­ten Prin­zi­pi­en der Inklu­si­on von „gen­der iden­ti­ty” folgt. Beim Frau­en­box­be­werb tre­ten Iden­ti­tä­ten gegen­ein­an­der an. Für Paris hat das IOC sogar ein Glos­sar für Jour­na­lis­ten her­aus­ge­ge­ben, wel­che Begrif­fe ver­mie­den wer­den sol­len. Bei­spiels­wei­se „als Frau gebo­ren“ und „bio­lo­gisch männlich“.

Sicher­heit von Frau­en im Sport

Sport­le­rin­nen soll­ten sich nicht ent­schul­di­gen müs­sen, wenn sie for­dern, dass kei­ne Män­ner in ihren Kate­go­rien antre­ten. Ihre Sicher­heit soll­te für das IOC vor­ders­te Prio­ri­tät haben, nicht nur bei Kon­takt­sport­ar­ten.
Es ist selbst dem IOC klar, dass bei­spiels­wei­se Frau­en- und Män­ner-Boxen nicht ohne Wei­te­res zusam­men­ge­legt wer­den kön­nen. Doch das Sicher­heits­ri­si­ko, von einem aus der Sicht des Män­ner­sports zwar medio­kren, aber kör­per­lich den­noch über­le­ge­nen männ­li­chen Boxer mit oder ohne DSD zusam­men­ge­schla­gen zu wer­den, müs­sen eini­ge Frau­en bei den Som­mer­spie­len in Paris wider­spruchs­los tra­gen. „Safe­ty, fair­ness and harass­ment free envi­ron­ment“ müs­sen die Frau­en lie­fern, ohne dass es ihnen selbst zukommt. Sie sind Kano­nen­fut­ter in der eige­nen Geschlechts­klas­se und not­wen­di­ge Sta­tis­tin­nen im Diens­te der Inklu­si­on. Im Grund ist olym­pi­sches Frau­en­bo­xen nach nur zwölf Jah­ren schon wie­der Geschichte. 

Aus­blick

Fair­ness im Frau­en­sport setzt geschlechts­spe­zi­fi­sche Dis­kri­mi­nie­rung vor­aus. Wenn das IOC Self-ID in allen Sport­ar­ten durch­setzt, bedeu­tet das das Ende des Frau­en-Eli­te-Sports. Viel­leicht des kom­pe­ti­ti­ven Frau­en­sports gene­rell, beson­ders bei Sport­ar­ten, bei denen Kör­per­grö­ße, Kör­per­kraft, Mus­kel­mas­se und Aus­dau­er ent­schei­dend sind. Im Mann­schafts­sport steigt das Risi­ko für schwe­re Ver­let­zun­gen, wenn Män­ner in die Teams auf­ge­nom­men wer­den müs­sen.
Wie soll­ten Mäd­chen und jun­ge Frau­en Ambi­tio­nen ent­wi­ckeln, wenn sie mit stei­gen­der Wahr­schein­lich­keit mit einem über­mäch­ti­gen Geg­ner kon­fron­tiert wer­den? Wie sol­len sie die­sem Ver­drän­gungs­wett­be­werb stand­hal­ten?
Das Mit­tel der Wahl ist die Wie­der-Ein­füh­rung ver­pflich­ten­der „cheek swabs“ – eine unkom­pli­zier­te Metho­de der Geschlechts­fest­stel­lung, die genau ein­mal in einer Sport­ler­kar­rie­re durch­ge­führt und doku­men­tiert wird. Doch das lehnt die der­zei­ti­ge Füh­rungs­rie­ge des IOC ab. Ihr Glau­be an Self-ID über­schreibt alles. Lie­ber wer­den Sicher­heit und Fair­ness für Frau­en preis­ge­ge­ben.
Mark Adams, Spre­cher des IOC mein­te kürz­lich: “I hope, we are all agreed we aren’t going to go back to the bad old days of sex test­ing”, womit er das Schau­er­mär­chen von Geni­tal­kon­trol­len und sons­ti­ger archai­scher Metho­den wie­der ein­mal vor Jour­na­lis­ten auf­er­ste­hen ließ und damit in die Köp­fe der Medi­en­kon­su­men­ten brach­te. Bei ange­deu­te­ter Fol­ter wer­den wir emp­find­lich. Dabei sind Doping­tests wesent­lich inva­si­ver und kön­nen jeder­zeit und immer wie­der statt­fin­den. Auch die Schwan­ger­schafts­tests wer­den unter Auf­sicht durchgeführt. 

Die Her­ren Adams und Bach luden im lau­fen­den Skan­dal rund um die Olym­pi­sche Dis­zi­plin Frau­en­bo­xen offi­zi­ell all jene ein, die ihnen eine wis­sen­schaft­li­che Defi­ni­ti­on davon lie­fern könn­ten, was eine Frau ist und wie sich die Deter­mi­nie­rung (sic!) in der Pra­xis umset­zen lie­ße. Sie wür­den allen Wis­sens­lie­fe­ran­ten zuhören. 

Die Fra­ge nach einer Defi­ni­ti­on von „Mann“ stell­ten sie nicht und die anwe­sen­den Jour­na­lis­ten kamen auch nicht auf die­sen kom­ple­xen Gedanken. 

Wir wis­sen also, wie der Hase läuft: Die Refe­renz­ka­te­go­rie „Mann” bleibt erhal­ten.
Nach den Olym­pi­schen Spie­len ist vor den Olym­pi­schen Spie­len – in der Zwi­schen­zeit gilt #Save Women’s Sports!

Links

IOC Frame­work on Fair­ness, Inclu­si­on and Non-Dis­cri­mi­na­ti­on on the Basis of Gen­der Iden­ti­ty and Sex Varia­ti­ons
https://stillmed.olympics.com/media/Documents/Beyond-the-Games/Human-Rights/IOC-Framework-Fairness-Inclusion-Non-discrimination-2021.pdf

Yog­ya­kar­ta Prin­zi­pi­en, Zeit­schrift Die­Zu­kunft
https://diezukunft.at/ist-es-menschenrecht-eine-frau-zu-sein-von-elfi-rometsch/

Mark Adams, Tho­mas Bach Pres­se­kon­fe­renz IOC, 3.8.2024
https://x.com/iocmedia/status/1819656419592770004
https://x.com/SkyNews/status/1819376761987019020

Janice Tur­ner, The Times, 2.8.2024, A simp­le cheek swab can pro­tect fema­le boxers
https://archive.ph/xp8yV#selection-2171.0–2171.45

Europäische Gesellschaft für Geschlechtergerechtigkeit, Österreich

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