Dr. Grit Bühler, Gastbeitrag zu „75 Jahre Grundgesetz, Wir ehren Dr. Elisabeth Selbert“, 25. Mai 2024, Kassel
Dr. Elisabeth Selberts Blick in den frauenbewegten Osten im Nachkriegsdeutschland – Denn auch dort gab es sie: (Die) Mütter der Gleichberechtigung!
Neue Erkenntnisse zu Emanzipation und Empowerment in den Anfängen der DDR
Es gab (die) Mütter der Gleichberechtigung auch in der frühen DDR – in der Sowjetischen Besatzungszone: Sie waren die Gründerinnen des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD). Energiegeladen bereiteten sie den Weg zur Gleichberechtigung, der durchaus konfliktreich verlief: Gerade auch die Verankerung in Verfassung und Gesetzgebung war damals keineswegs ein Selbstläufer. Ihr Einsatz hat sich gelohnt, die Errungenschaften wirken bis heute nach. Das ist die eine Geschichte.
Die andere: Was haben diese Akteurinnen mit den Müttern des Grundgesetzes, der Gleichberechtigung in der Bundesrepublik zu tun – mit Elisabeth Selbert und ihren Mitstreiterinnen?
Tatsächlich waren sie über politische, ideologische und reale Grenzen hinweg verbunden, und in einem engen Zeitfenster zwischen West und Ost gut vernetzt – und dies auch in Bezug auf die gesetzliche Fixierung von Frauenrechten.
Anhand von neu erschlossen Quellen1 konnte rekonstruiert werden, wie es dazu kam:
Mit Gründung des Frauenbundes im März 1947 in Berlin entstand ein feministisches Manifest:
„Wir dürfen niemals mehr zulassen, daß über Deutschlands Gestaltung und Geschicke ohne uns Frauen entschieden wird. Wir werden von jetzt ab mitwissen, mitverantworten und mitbestimmen.“2
Das exponentielle Wachstum der Mitglieder im DFD – bereits im Jahr der Gründung über 200.000 Frauen – spiegelte das neue feministische Selbstbewusstsein und eine gemeinsame kollektive Identität wider, erfahren beispielsweise auf tausendköpfigen Kongressen und Frauenversammlungen. Entsprechend gipfelte dies in der Selbstbeschreibung als eine „neue demokratische Frauenbewegung“ – ein historisch eigenmächtiger Aufbruch.3
Der gesamte Frauenbund hatte den Anspruch, „in schwesterlicher Verbundenheit“ […] „die Sprecherin für alle deutschen Frauen [zu] sein“; er betrachtete sich nicht als „eine Vertretung der Ostzone und Berlins“ – so die frauenbewegte Gründerin Maria Rentmeister – sondern wolle „den fortschrittlichsten Teil der deutschen Frauenbewegung“ repräsentieren und an der „Herstellung einer gesamtdeutschen Frauenorganisation“ festhalten.4
Die Notwendigkeit einer parteiübergreifenden „Bottom-up“-Frauenbewegung wurde vielstimmig artikuliert. Die Arbeit von und für Frauen war eines der großen Potenziale der Frauenausschüsse und des jungen DFD – eine Plattform, auf der Frauen gemeinsam neue politische und soziale Regeln verhandelten und frauenspezifische Interessen vertreten lernen sollten. Und dies gelang ihnen bis auf kommunale Ebenen – praktisch, partei- und schichtenübergreifend und überkonfessionell.
Zu den wirkmächtigsten Gründerinnen bzw. Akteurinnen des Frauenbundes zählten die aus der Sozialdemokratie stammende Käthe Kern, die Liberale Helene Beer, die Kommunistinnen Maria Rentmeister, Emmy Damerius-Koenen, Elli Schmidt, Hilde Benjamin sowie die beiden parteilosen Frauen Prof. Dr. Paula Hertwig und die erste gewählte DFD-Vorsitzende, Gynäkologin und Sexualreformerin Dr. Anne-Marie Durand-Wever. Sie war spätere Mitbegründerin von pro familia – 1952, hier in Kassel.
Praktisch alle waren schon vor 1933 als Kämpferinnen für Gleichberechtigung in Erscheinung getreten, zwei von ihnen auch in der alten Frauenbewegung im radikalen Flügel. Sie wurden ins Exil getrieben oder im nationalsozialistischen Deutschland verfolgt; sie distanzierten sich von der Männerpolitik der vergangenen Jahre und waren entschlossen, ihre demographische Mehrheit auch als (Macht-)Faktor einzusetzen. Sie engagierten sich aufs Neue in der Nachkriegsfrauenbewegung des DFD und waren maßgeblich als ‚Mütter der Gleichberechtigungsgesetzgebung‘ an der Ausformulierung einer Vielzahl gleichstellender Gesetze zu Rechts- und Verfassungsfragen beteiligt.
Bewegt von dem Impuls, die Geschlechterordnung und die Situation von Frauen sichtbar und anhaltend zu verändern, war der DFD auch bei der Entstehung der künftigen Verfassung mit seinem Anspruch auf Gleichberechtigung der Geschlechter federführend. Dass die Gleichberechtigung in Artikel 7 der Verfassung der DDR 1949 festgeschrieben wurde, resultierte aus einer beharrlich geführten Debatte, die insbesondere von Akteurinnen des DFD erstritten wurde.
Bei der Ausarbeitung der zahlreichen Vorschläge und Entwürfe stießen sie auf patriarchale Widerstände, so dass sie ihre feministischen Forderungen immer wieder neu zu verteidigen hatten. Umso wichtiger wurde bei der Unterstützung der Frauen- und Gleichberechtigungsinteressen der bereits zu einer großen Frauenorganisation herangewachsene DFD. Es erscheint heute so, dass die Akteurinnen dieses basisdemokratische Instrument gezielt nutzten. Sie wussten um die Wirkmächtigkeit der hinter ihr versammelten Frauenmacht – 1950 waren es bereits ca. 500.000 Frauen.
Dies ermächtigte den DFD, vertreten durch seine Verfassungskommission, sich offensiv in den Verfassungsgebungsprozess einzubringen und direkt Einfluss zu nehmen:
„Es ist notwendig, die Gleichstellung von Männern und Frauen auszusprechen. Um die Verwirklichung dieses Grundsatzes zu sichern, muss die Anordnung, daß alle entgegenstehenden Gesetze und Bestimmungen aufgehoben sind, angeführt werden. Es wurde auch Wert auf die Formulierung gelegt: ‚Gesetze und Bestimmungen‘, um damit auch nicht gesetzliche Regelungen, z. B. in Tarifverträgen, zu erfassen.“5
Abschließend wurde im Verfassungstext festgeschrieben:
„(1) Mann und Frau sind gleichberechtigt. (2) Alle Gesetze und Bestimmungen, die der Gleichberechtigung der Frau entgegenstehen, sind aufgehoben.“6
Im Einzelnen betraf dies auch das Recht der Frau auf Lohngleichheit bei gleicher Arbeit. Ausdrücklich wurde für den Ehestand festgestellt: „Die Ehe beruht auf der Gleichberechtigung der beiden Geschlechter.“7
Mit ihren fortschrittlicheren Verfassungsdiskussionen und ‑formulierungen inspirierten die DFD-Gründerinnen offenbar auch die ‚Mütter der Gleichberechtigungsgesetzgebung‘ in der Bundesrepublik Deutschland – die Sozialdemokratin Elisabeth Selbert und ihre Mitstreiterinnen.
„Mann und Frau sind gleichberechtigt.“8
Diese prägnante Formulierung war der westdeutschen Frauensekretärin im SPD-Parteivorstand Herta Gotthelf bekannt – in Berlin war sie gut vernetzt, nachweislich auch mit der Vorsitzenden der bereits seit 1947 existierenden DFD-Verfassungskommission Käthe Kern. Mit Kern verband sie eine langjährige Zusammenarbeit in der SPD-Frauenpolitik – schon seit den 1920er Jahren, seit dem gemeinsamen Besuch der Akademie der Arbeit in Frankfurt am Main.9 Herta Gotthelf forcierte daraufhin die fast gleich lautende Übernahme in den SPD-Verfassungsantrag – der wiederum von Elisabeth Selbert in den Parlamentarischen Rat eingebracht und letztendlich als Artikel 3, Absatz 2 Grundgesetz festgeschrieben wurde:
„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“10
In der faktischen Politik der DDR klafften dann Anspruch und Wirklichkeit politischer Partizipation und Gleichberechtigung immer wieder stark auseinander.
Gleichwohl blieben die Forderungen und Anliegen der Akteurinnen auch durch den Erfahrungstransfer auf die nächste Generation nicht wirkungslos. Dieses kräftige Echo hallt auch über politisch-gesellschaftliche Umbrüche hinweg nach. Es zählte für Frauen in der DDR zur gesellschaftlichen Normalität, einen Beruf zu ergreifen und ökonomisch unabhängig zu sein, auch im Falle einer Ehescheidung, sowie selbstbestimmt über den eigenen Körper das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch wahrzunehmen. Auch vor diesem Hintergrund sind ostdeutsche Lebensleistungen und Biografien anzuerkennen. Im direkten Vergleich hatte die Mehrzahl der Frauen in der DDR nach der Zäsur 1989/90 durch ihre Sozialisation tatsächlich einen Emanzipationsvorsprung gegenüber den Frauen aus der Bundesrepublik.
Dr. Grit Bühler
Quellen:
1 Siehe Grit Bühler, Eigenmächtig, frauenbewegt, ausgebremst. Der Demokratische Frauenbund Deutschlands und seine Gründerinnen (1945–1949), Frankfurt a. M./New York 2022 sowie Grit Bühler, „(Die) Mütter der Gleichberechtigung in der DDR. Die frauenbewegte Gründerinnenzeit des Demokratischen Frauenbundes Deutschlands (DFD) 1945 – 1949“, in: Deutschland Archiv, 7.11.2023 (Erstveröffentlichung), 7.3.2024 Aktualisierung/Postskriptum, Link: www.bpb.de/542468.
2 DFD (Hg.), Protokoll des Deutschen Frauenkongresses für den Frieden, Berlin 1947, S. 152f.
3 Ebd., S. 70. Bis 1952 wuchs er auf 1,1 Millionen Frauen an.
4 Bühler, Grit/Rentmeister, Cillie (2024): Maria Rentmeister, in: Digitales Deutsches Frauenarchiv, URL: https://www.digitales-deutsches-frauenarchiv.de/akteurinnen/maria-rentmeister (letzter Zugriff: 22.04.2024).
5 Vorschläge des DFD zum Verfassungsentwurf des Volksrates vom 15. November 1948, zit. nach: Bundesvorstand des DFD (Hg.), Geschichte des DFD, S. 96 (Hervorhebung im Original).
6 Artikel 7, Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949, URL: http://www.verfassungen.de/ddr/verf49.htm (letzter Zugriff: 22.04.2024).
7 Artikel 25, SED-Entwurf für eine Verfassung vom 14. November 1946, URL: http://www.documentarchiv.de/ddr/1946/sed-verfassungsentwurf-ddr.html (letzter Zugriff: 22.04.2024). Dieser Satz war bereits in der Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 in Artikel 119 Absatz 1 festgeschrieben. Siehe: URL: http://www.documentarchiv.de/wr/wrv.html (letzter Zugriff: 22.04.2024).
8 Artikel 7, Abs. 1, Verfassung der DDR vom 7. Oktober 1949, URL: http://www.verfassungen.de/ddr/verf49.htm
(letzter Zugriff: 22.04.2024).
9 Vgl. Ludger Fittkau, Man lebt ja nicht um seiner selbst willen. Die Frauenrechtlerin Käthe Kern und der 20. Juli 1944, Berlin 2023, S. 74f. und S. 214–224. Zum einflussreichen Wirken von Herta Gotthelf als Ideengeberin ‚im Hintergrund‘ vgl. Karin Gille-Linne, Verdeckte Strategien. Herta Gotthelf, Elisabeth Selbert und die Frauenarbeit der SPD 1945–1949, Bonn 2011, S. 236–241.
10 Artikel 3, Absatz 2, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, URL: https://www.verfassungen.de/gg49‑i.htm (letzter Zugriff: 22.04.2024).
II. Bundeskongress des Demokratischen Frauenbundes Deutschland (DFD) in der Staatsoper in Berlin, 29./30. Mai 1948 (am Pult: Dr. Anne-Marie Durand-Wever, 1. Reihe v.l.n.r.: Helene Beer, Käthe Kern, Emmy Damerius-Koenen, Maria Rentmeister, 2. Reihe: Vierte v.l. Elli Schmidt) | © Deutsche Fotothek / Abraham Pisarek