„Um Selbstbestimmung geht es nicht“ – Rede Dr. Isabel Rohner

25. Jan. 2025

Rede Dr. Isabel Rohner – Expertin für die Geschichte der Frauenbewegungen und Demokratisierung zur Demonstration gegen das sog. Selbstbestimmungsgesetz am 1. November 2024 in Berlin

Vor kurzem wurde ich von einer jungen, engagierten Frau angesprochen.

„Frau Rohner“, fragte sie, „warum sind Sie gegen das Selbstbestimmungsgesetz? Was haben Sie als Feministin denn gegen Selbstbestimmung?“

Meine Antwort ließ sie erstaunen. „Das sog. Selbstbestimmungsgesetz hat zwar einen tollen Namen – es verstößt aber in mehreren Punkten gegen unser Grundgesetz. Um „Selbstbestimmung“ –  übrigens eine Forderung der Frauenbewegungen des 19. Jh. – geht es darin nicht. Im Gegenteil: Das Gesetz gefährdet die Rechte von Frauen, Kindern und Homosexuellen und schadet der Akzeptanz transsexueller Menschen.“

Das Staunen der jungen Frau ist typisch, wenn es um die Befassung mit dem sog. Selbstbestimmungsgesetz geht, das heute in Kraft tritt. Kaum jemand hat sich – jenseits des tollen Namens – tiefer mit dem Gesetz befasst. Kaum jemand hat das Gesetz bislang gelesen. Die Presse hat kaum darüber berichtet. Dabei werden die Folgen uns alle betreffen.

Ich bin der festen Überzeugung: Dieses Gesetz wird früher oder später ein Fall für das Bundesverfassungsgericht werden. Es ist postfaktisch und antidemokratisch.

Ich will das an zwei Punkten verdeutlichen:

1. Das sog. Selbstbestimmungsgesetz steht im Widerspruch zu Artikel 3 Abs. 2 unseres Grundgesetzes.

„Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“

Dieser Satz wurde 1949 von der großen Sozialdemokratin Elisabeth Selbert gegen heftigste Widerstände erkämpft. Denn er ist die Grundlage für die Rechtsgleichheit von Männern und Frauen auf allen Gebieten, auch im Familien-, Ehe- und Arbeitsrecht.

1994 wurde dieser Absatz – ebenfalls gegen heftige Widerstände und nur dank des parteiübergreifenden Zusammenarbeitens von Demokratinnen aller Fraktionen um einen Verfassungsauftrag erweitert:

„Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen & Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“

Artikel 3 Abs 2 unseres Grundgesetzes geht selbstverständlich von einer biologischen Definition von „Geschlecht“ aus. Nicht von einer „Geschlechtsidentität“, wie es das sog. Selbstbestimmungsgesetz will – ein Begriff der juristisch übrigens nicht definiert ist. Das sog. Selbstbestimmungsgesetz will hier einen Paradigmenwechsel. Ausschlaggebend für den Geschlechtseintrag soll nicht mehr die körperliche Realität, sondern ein Sprechakt sein.

Das sog. Selbstbestimmungsgesetz gibt allen Personen über 14 Jahre das Recht, ihren Geschlechtseintrag nach Gefühl und ohne jede Missbrauchsschranke einmal im Jahr vor dem Amt ändern zu lassen.

Frauen wurden und werden aber nicht diskriminiert, weil sie sich als Frauen fühlen.

Frauen wurden und werden auf dieser Welt diskriminiert, weil sie Frauen sind.

Schauen wir nach Afghanistan. Denkt wirklich irgendjemand ernsthaft, die Taliban würden den Frauen ihre Freiheiten wiedergeben, wenn die Frauen alle sagen würden, wir identifizieren uns als Männer?

Dieser Paradigmenwechsel ist blanker Hohn. Der Verfassungsauftrag des Grundgesetzes wird hier ad absurdum geführt, wenn zukünftig jeder gewalttätige Ehemann die Möglichkeit hat, sich zur Frau zu identifizieren und somit Einlass in Frauenhäuser, in Frauengefängnisse oder auch „als Frau“ in die Gewaltstatistik einzugehen. Zahlreiche Beispiele aus Spanien, Schottland, Australien hätten unserer Politik in Deutschland hier eine Warnung sein können. Sein müssen.

2. Das sog. Selbstbestimmungsgesetz steht im Widerspruch zu Art. 5 unseres Grundgesetzes, der Meinungsfreiheit und der Pressefreiheit

Das Gesetz enthält in §13 ein „Offenbarungsverbot“. Zukünftig wird mit bis zu 10.000 Euro bestraft, wer die bisherige „Geschlechtszugehörigkeit“ eines Menschen „offenbart“. Einen solchen Paragrafen darf es in Demokratien nicht geben – ganz unabhängig vom Fokus des Gesetzes. Denn „offenbaren“ kann man nur die Wahrheit. Mit diesem Paragrafen verbietet der Gesetzgeber den Bürgerinnen und Bürgern explizit, die offensichtliche Wahrheit zu sagen.

Ich will hier betonen: Jeder Mensch darf sich in unserer freiheitlich-liberalen Demokratie fühlen, wie er möchte. Mich aber unter Androhung einer Strafe von 10.000 Euro zu zwingen, diese Gefühle zu teilen, passt nicht in eine Demokratie.

Und was macht dieses Gesetz mit unserer Pressefreiheit? Wird die Presse gezwungen, einen Vergewaltiger eine Frau zu nennen, wenn er sich als „Frau identifiziert“? Wird sie gezwungen, eine „Person mit Penis“, also einen Mann, eine Frau zu nennen, wenn diese im einzigen Frauenfitnessstudio trainieren und duschen will. So geschehen vor wenigen Wochen in Erlangen?

„Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen.“ George Orwell

Es gibt weitere konkrete Einwände gegen dieses Gesetz. Sie wurden in den letzten Jahren von vielen Frauen & Männern immer wieder vorgebracht und sind u.a. auf den Seiten der Frauenheldinnen, Lasst Frauen Sprechen oder auch in den Stellungnahmen zum Gesetzgebungsverfahren nachzulesen.

Nur weil ein Gesetz einen tollen Namen hat, bedeutet das nicht, dass auch der Inhalt gut ist. Das sog. Selbstbestimmungsgesetz verstößt gegen unser Grundgesetz und muss darum zwingend geändert werden.


Die Podcastin, 12.11.2024:
#diepodcastin mit Wahlanalysen: Isabel Rohner & Regula Stämpfli zum sog. Selbstbestimmungsgesetz, die Wahlen in den USA, Frauenwahlen generell, Zerfall der Ampel und endlich: Einen Hedwig Dohm Platz!


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