Gastbeitrag von Stefanie Bode
Die Trans-Debatte ist eine Debatte über Sprache und Konzepte. Begriffe wie „transgender“ und „transsexuell“ werden unter Radikalfeministinnen heftig diskutiert.
Viele sprechen sich gegen die Verwendung dieser Begriffe aus, da sie die dahinterstehende falsche Annahme unterstützen, dass eine Person ihr Geschlecht ändern kann.
Auf der Suche nach präzisen Begriffen, um die Praktiken und Ideen des Transgenderismus in Frage zu stellen, greifen genderkritische und radikale Feministinnen immer häufiger auf einen anderen Begriff zurück: „Geschlechtsdysphorie“.
Kürzlich verkündete eine Frau in den sozialen Medien:
„Ich hatte gerade eine wunderbare Idee. Von nun an versuche ich, die Abkürzung PGD – Menschen mit Geschlechtsdysphorie – anstelle von ‚Trans-Menschen‘ zu verwenden.“
Als ausgebildete und praktizierende Psychotherapeutin, aber vor allem als Radikalfeministin, lehne ich das Konzept der Geschlechtsdysphorie ab.
Stattdessen sollten wir die dem Begriff zugrundeliegenden Annahmen diskutieren und eine klare Sprache verwenden, die die Praktiken und die Ideologie des Transgenderismus beschreibt und kritisiert. Hier sind die Gründe dafür.
1. Das Konzept „Geschlechtsdysphorie“ ist sexistisch
Das 5. Diagnostischen und Statistischen Handbuch Psychischer Störungen (DSM‑5) verwendet für die Diagnose „Geschlechtsdysphorie“ den Begriff „Gender“, wenn es „Geschlecht“ oder „Geschlechterrolle“ meint. Es ist unklar, ob die AutorInnen einen Unterschied zwischen diesen Begriffen erkennen.
Indem sie „Gender“ manchmal für „Geschlecht“ und manchmal für „Geschlechterrollen“ verwenden, ignorieren sie die feministische Definition von Geschlechterrolle als patriarchales Instrument der Unterdrückung von Frauen. Indem sie „Gender“ verwenden, wenn sie „Geschlecht“ meinen, offenbaren sie, dass sie nicht an die materielle Realität geschlechtlicher Körper glauben, sondern dem Kult der „Genderidentität“/„Geschlechtsidentität“ anhängen.
Das DSM‑5 definiert „Geschlechtsdysphorie“ bei Jugendlichen und Erwachsenen als „mindestens sechs Monate andauernde Inkongruenz zwischen dem erlebten/ausgedrückten Gender und dem zugewiesenen Gender“. Dieser Zustand sollte sich durch mindestens zwei der folgenden Punkte manifestieren (meine eigene Übersetzung in Klammern):
- Eine deutliche Inkongruenz zwischen dem erlebten/ausgedrückten Gender [Geschlechtsrollenstereotyp] und den primären und/oder sekundären Geschlechtsmerkmalen
- Ein starker Wunsch, die eigenen primären und/oder sekundären Geschlechtsmerkmale loszuwerden, weil eine deutliche Inkongruenz mit dem erlebten/ausgedrückten Gender [Geschlechtsrollenstereotyp] besteht
- Ein starkes Verlangen nach den primären und/oder sekundären Geschlechtsmerkmalen des anderen Genders [Geschlechts]
- Ein starkes Verlangen, das andere Gender [Geschlecht] oder ein alternatives Geschlecht [?] zu sein, das sich von dem zugewiesenen [?] Gender [Geschlecht] unterscheidet
- Ein starkes Verlangen, als das andere Gender [Geschlecht] oder als ein alternatives Gender [?], das sich von dem zugewiesenen [?] Gender [Geschlecht] unterscheidet, behandelt zu werden
- Eine starke Überzeugung, dass man die typischen Gefühle und Reaktionen des anderen Genders [Geschlechts] oder eines alternativen Genders [?] hat, das sich von dem zugewiesenen [?] Gender [Geschlecht] unterscheidet
Die Definition für „Geschlechtsdysphorie“ bei Kindern klingt sehr ähnlich, fügt aber noch eine „Vorliebe für gegengeschlechtliche Kleidung“, Spielzeug, Spiele und Aktivitäten hinzu, die kulturell mit dem anderen Geschlecht assoziiert werden. Für alle Alterskategorien betont das DSM‑5, dass „um die Kriterien für die Diagnose einer Geschlechtsdysphorie zu erfüllen, der Zustand auch mit klinisch bedeutsamen Belastungen oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verbunden sein muss“.
„Geschlechtsdysphorie“ ist nicht weniger ein soziales Konstrukt als „Gender “ es ist. Das Konzept der „Geschlechtsdysphorie“ konzentriert sich zum einen auf den Leidensdruck und zum anderen auf eine Geschichte, die diesen Leidensdruck erklären soll – die Inkongruenz zwischen Geschlecht und Geschlechtsrollenstereotypen.
Die Verwendung des Begriffs „Inkongruenz“ im Rahmen dieser Kriterien legt nahe, dass jeder Mensch eine Geschlechterrolle erfüllt oder erfüllen sollte. Damit werden weder Geschlechterrollen noch Geschlechtsrollenstereotypen selbst abgelehnt. Stattdessen werden sie bejaht, problematisiert wird lediglich ein mögliches Unbehagen mit ihnen. Die Kriterien basieren auf Vorstellungen, wie eine Kongruenz zwischen Geschlecht und Geschlechterrollen aussehen würde, was die Idee traditioneller Geschlechterrollen bekräftigt.
2. Das Konzept der „Geschlechtsdysphorie“ ist vage
Wenn man von „jemandem mit Geschlechtsdysphorie“ spricht, kann das viele verschiedene Dinge bedeuten. Zum Beispiel:
- Eine Frau entspricht nicht den traditionellen Geschlechtsrollenstereotypen und stellt fest, dass sie von anderen eher akzeptiert wird, wenn sie so tut, als sei sie ein Junge
- Eine Frau erhält ständig die Botschaft, dass Homosexualität etwas Schreckliches ist, und wird belohnt, wenn sie sich stattdessen als das andere Geschlecht präsentiert
- Eine Frau hat den Drang, ihren Körper zu schädigen oder empfindet eine starke Abneigung gegen ihren Körper
- Ein Mann hat durch den Konsum von Pornografie einen autogynophilen Fetisch entwickelt
Der Begriff „Geschlechtsdysphorie“ ist ein Sammelbegriff, ähnlich wie der Begriff „Transgender“. Er ist im Grunde nutzlos, wenn wir andere über Transgenderismus aufklären wollen.
Es gibt viele andere Möglichkeiten, die psychische Belastung einer Person in Bezug auf geschlechtsbezogene Erfahrungen oder gesellschaftlich bedingter Geschlechtsrollenstereotypen zu benennen. Zum Beispiel kann man sagen, ein Mädchen, eine Frau erlebt Traurigkeit, Verzweiflung, ist vielleicht sogar suizidal, und setzt das mit Bewertungen über ihren heranwachsenden Körper in Bezug. Oder eine Person hat die Überzeugung, dass sie eine bestimmte Geschlechterrolle erfüllen muss; sie ist unsicher, änglich, obsessiv mit der Wahrnehmung durch andere beschäftig; sie hat eine Körperdysphorie oder, in den Worten von Jennifer Bilek, erlebt eine von der Gender-Industrie verherrlichte und geförderte Dissoziation vom eigenen Körper.
Es ist nicht notwendig, einen psychiatrischen Begriff zu verwenden, der nur sexistische Vorstellungen vermittelt und keine spezifischen Informationen darüber preisgibt, worauf man sich bezieht. Wenn andere von „Geschlechtsdysphorie“ sprechen, müssen wir sie fragen: Was genau meinst du damit? Das Bemühen um Klärung hilft der Sprecherin und dem Publikum, den sozial konstruktiven Charakter von Transgenderismus besser zu verstehen, und ermöglicht eine kritische Betrachtung, auch in Gesprächen mit Menschen, die diese Bezeichnung für sich selbst verwenden.
Die feministischen Aktivistinnen Elie und Nele von der Kampagne Post Trans berichten, dass viele betroffene Frauen Erleichterung erfahren, jedes Gefühl als das zu benennen, „was es ist“, anstatt sich auf den Begriff „Geschlechtsdysphorie“ zu beziehen.
Sie erklären, dass Frauen ihre Erfahrungen spezifizieren können, indem eine zum Beispiel sagt, dass sie sich unwohl fühlt, als Frau gesehen zu werden oder dass sie sich mit ihren Brüsten unwohl fühlt. Das Herunterbrechen psychiatrischer Begriffe auf spezifische Erfahrungen und Wahrnehmungen ermöglicht es, Frauen zu entpathologisieren, unsere gemeinsamen Erfahrungen zu betonen und Verbindung zwischen uns herzustellen.
3. Das Konzept unterstützt die Ideen und Praktiken des Transgenderismus
Die Verwendung des Begriffs „Geschlechtsdysphorie“ geht mit der Annahme einher, dass die betreffende Wahrnehmung oder Erfahrung eine Form der klinischen Intervention erfordert. Immerhin handelt es sich um eine klinische Diagnose.
Die so genannte „Behandlung“, die von der klinischen Gemeinschaft im Jahr 2022 empfohlen wird, besteht aus Hormonblockern, der Bekräftigung gegengeschlechtlicher Fantasien und der Durchführung invasiver Operationen, die immer gesundheitlich schädlich sind. Aber selbst wenn anstelle medizinischer Maßnahmen eine Psychotherapie empfohlen wird, bewegt sich diese immer noch in einem psychiatrisch-frauenfeindlichen Rahmen.
Es gibt andere Möglichkeiten, mit dem Leid umzugehen, das von den Betroffenen mit dem eigenen Körper und gesellschaftlichen Zuschreibungen in Zusammenhang gebracht wird. Einige Frauen berichten anekdotisch, dass ihnen der Radikalfeminismus geholfen hat. Dies wird aber nicht einmal von genderkritischen Psychotherapeuten als potenzielle Lösung oder als Möglichkeit zur Kanalisierung dieses Leidens angesehen. Niemand empfiehlt feministischen Aktivismus oder das Aufsuchen radikalfeministischer lesbischer Gemeinschaften.
In der Regel weisen psychiatrische und psychotherapeutische Fachleute nicht auf die unerwünschten Nebenwirkungen von Psychotherapie hin, wie z. B. ihre negativen Auswirkungen auf die Befreiung und das feministische Bewusstsein von Frauen, wie Celia Kitzinger und Rachel Perkins uns schon vor langer Zeit gewarnt haben.
Stattdessen zeigen diejenigen, die sich auf das psychiatrische Konzept der „Geschlechtsdysphorie“ beziehen, wenn sie die Probleme des Transgenderismus diskutieren, eine unkritische Sicht auf das gesamte System der Psychotherapie und der Psychiatrie selbst, die die Institution der psychiatrischen Diagnosen einschließt.
Als Feministinnen müssen wir diese Systeme und die von ihnen verwendeten Konzepte kritisieren, eine Arbeit, die Feministinnen wie Phyllis Chesler und Celia Kitzinger schon vor vielen Jahren begonnen haben. Dies gilt insbesondere für Fragen im Zusammenhang mit Geschlecht und Geschlechtsrollenstereotypen, die Sheila Jeffreys seit Jahrzehnten dokumentiert.
Die Aufrechterhaltung der Bezeichnung „Geschlechtsdysphorie“ bestätigt die psychiatrische Vorstellung, dass der Körper das eigentliche Problem ist, und in feministischen Kreisen suggeriert sie, dass die Linderung des Leidens auf individueller Ebene das Hauptanliegen von Feministinnen sein sollte.
Darüber hinaus scheint es, dass die Diagnose selbst die Symptome erzeugt, die sie zu beschreiben versucht. Einige Frauen berichteten, dass die Abneigung gegen ihren Körper erst begann, nachdem andere ihnen das Etikett „Geschlechtsdysphorie“ zugewiesen hatten, was ein Beispiel für den starken konstitutiven Charakter von Konzepten und Ideen ist. Wie Emily Köhler in ihrem Vortrag bei der Women’s Declaration International bezeugte, hat sie durch den innerlichen Bezug zu dem Konzept der „Geschlechtsdysphorie“ gelernt, die Verbindung zu ihrem Körper zu verlieren.
Die Diagnose und das Konzept der „Geschlechtsdysphorie“ selbst sind zu 100 % mit der aktuellen Ideologie der „Geschlechtsidentität“ verwoben. Es ist widersprüchlich, letztere zu verurteilen und erstere als richtig und gültig zu betrachten. Das Etikett ist so stark mit der Gender-Industrie verbunden, dass wir eine Frau oder einen Mann der Gefahr aussetzen, sich schädlichen chemischen und chirurgischen Eingriffen zu unterziehen, sobald wir den Begriff „Geschlechtsdysphorie“ in Bezug auf sie oder ihn verwenden oder wiederholen.
4. Das Etikett „Geschlechtsdysphorie“ markiert bestimmte Frauen als anders
Wenn Feministinnen das Konzept der „Geschlechtsdysphorie“ verwenden, um das Unbehagen einer Frau zu erklären, definieren sie sie als psychisch krank; dies ist nicht nur pathologisierend, sondern markiert sie auch als anders. Es suggeriert, diese Frau sei grundsätzlich anders als wir. Etwas stimmt mit dieser Frau nicht und muss entweder behoben oder toleriert werden.
Als Feministinnen wissen wir, dass es völlig gesund und sogar nützlich ist, sich mit Geschlechterrollen und Geschlechtsrollenstereotypen unwohl zu fühlen. Wir wissen, dass es unter männlicher Vorherrschaft normal – wenn auch nicht wünschenswert – ist, mit seinem weiblichen Körper zu hadern. Wenn wir diese Frauen als „Menschen mit Geschlechtsdysphorie“ bezeichnen, reduzieren wir sie auf diese Erfahrungen und tragen dazu bei, dass sie sich mit einem apolitischen sexistischen psychiatrischen Narrativ identifizieren.
Anstatt einzelne Frauen als anders zu markieren, könnten wir die Gemeinsamkeiten in unseren Erfahrungen analysieren. Wenn wir damit Frauen, die angeben, unter „Geschlechtsdysphorie“ zu leiden, entpathologisieren, helfen wir ihnen, zu verstehen, dass ihre Erfahrungen in einer frauenfeindlichen Welt durchaus Sinn machen und dass es immer Alternativen zu selbstverletzenden Verhalten (wie es Gender-Behandlungen sind) gibt. Die Ratschläge von Elie und Nele gehen auch hier in diese Richtung. Sie empfehlen Frauen, nach Vorbildern zu suchen, die einen ähnlichen Körper haben und bereits äußerlich Geschlechtsrollenstereotypen nicht entsprechen. Darüber hinaus empfehlen sie, ein feministisches Bewusstsein zu entwickeln und verinnerlichte Geschlechtsrollenstereotypen zu hinterfragen.
Verwende eine klare Sprache, um die Praktiken des Transgenderismus zu hinterfragen
Wenn Feministinnen die Ideen und Praktiken des Transgenderismus angreifen wollen, ist es an der Zeit, das frauenfeindliche psychiatrische Konzept der „Geschlechtsdysphorie“ nicht mehr als gegeben zu verwenden, sondern es zu kritisieren.
Anstatt sich auf diagnostische Etikette zu verlassen, sollten wir das Verhalten und die Erfahrungen der betroffenen Frauen und Männer konkret beschreiben.
Die nächste Generation von Radikalfeministinnen darf die Arbeit unserer älteren Schwestern nicht vergessen, die die Rolle der Psychiatrie bei der Förderung von Geschlechtsrollenstereotypen und Frauenfeindlichkeit problematisiert haben. Wir müssen die feministische Tradition der Aufdeckung der Frauenfeindlichkeit und der Politik der Psychiatrie und des medizinischen Berufsstandes in ihren Begriffen, ihrem Denken und ihrer Sprache wiederbeleben. Die Sprache, die Konzepte und die Erklärungen von PsychiaterInnen und PsychotherapeutInnen sind nicht die Lösung in der Trans-Debatte. Sie sind Teil des Problems.
Dieser Text wurde zuerst in englischer Sprache auf dem Blog 4w.pub veröffentlicht.
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