Rede von Monika Mengel
auf der Veranstaltung „75 Jahre Grundgesetz:
Wir ehren Dr. Elisabeth Selbert“
am 25. Mai 2024 in Kassel
Ich möchte in meiner Rede einen Streifzug durch die Frauengeschichte machen.
Wir stehen alle auf den Schultern unserer Schwestern und Mütter. Manchmal ziemlich wackelig und unsicher, dann wieder voller Power. Wir haben viel vergessen, aber instinktiv erinnern wir uns. Denn, was Frauen erlebt und erlitten haben, steckt uns gewissermaßen im Blut. Oder in den Genen. Wie Ihr wollt. Auch das macht uns als Frauen aus. Tina Turner und Etta James haben gesungen: „Only women bleed“. Nur Frauen bluten. Und das nicht nur im wörtlichen Sinn.
„Filia irata“ – das heißt zornige Tochter. Ja, wir haben allen Grund wütend zu sein. Eines der irrsten Gesetze der Neuzeit, das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz, ist verabschiedet worden. Außerdem wird unsere Frauengeschichte, unsere Lesbengeschichte und unsere Gegenwart – alles wird bis zur Unkenntlichkeit verramscht. Es wird geklaut, geleugnet, klein gemacht, umgedeutet, ausgebeutet. Das ist kulturelle Aneignung. Und viele stehen dabei – auch Feministinnen – und finden das gut. Wir werden als rechts, als rassistisch und als Terf gebrandmarkt. Männer wollen mal wieder definieren, was eine Frau ist.
Das heißt, wer uns einen Namen zuweist, will die Deutungshoheit, also Macht. Cis, Terf, Hure, Heilige, Hexe, Femme fatale, Femme fragile, Mannweib, Tribade, krank, hysterisch und der ganze Quark. – Ich mach‚s kurz: Ich nehme keinen dieser Namen an. Ich bin eine Frau und ich bin eine Lesbe. Kein weiterer Gesprächsbedarf.
Nach all den falschen und fiesen Bezeichnungen für Frauen- liebende-Frauen in der Geschichte, wurde „Lesbe“ in den 1970er Jahren zum Kampfbegriff. Lesben sind autonom in jeder Beziehung. Wir brauchen keine Männer. Deshalb sind wir auch heute wieder so gefährlich. Deshalb werden wir angefeindet. Genau wie jene heterosexuellen Mitstreiterinnen, die sich auch nicht alles gefallen lassen. Wenn heute junge Mädchen sagen: ich bin eine Lesbe und damit basta, ist das gefährlich. Denn das erste Gebot der Queer-Community ist: Du sollst mit Männern kooperieren und zwar mit Männern in allen Variationen. Wenn sich Trans als Lesbe bezeichnet und mit der jungen Lesbe ins Bett will, hat die junge Lesbe ein Problem. Schmeißt sie den Kerl raus, ist sie transphob.
Wir lassen uns nicht einlullen vom Geschwätz der schönen, neuen Welt der Vielfalt und des Fortschritts. Denn diese schöne, neue Welt ist nicht vielfältig und die ist auch nicht fortschrittlich. Denn, ob eine revolutionäre Bewegung überhaupt fortschrittlich ist, ob sie wirklich Freiheit und Toleranz will, erweist sich erst im Umgang mit ihren Kritikerinnen. Auch mit Kritik aus den eigenen Reihen. Da haben wir Frauen aktuell ganz schlechte Erfahrungen gemacht. Der Frauenhass, der uns entgegenschlägt, ist massiv. Und durch nichts gerechtfertigt. Selbst Transsexuellen, die sich kritisch mit der Queer-Lobby auseinander setzen, geht es nicht besser als uns Frauen. Wie frei war die Debatte zum Selbstbestimmungsgesetz? Gab es überhaupt eine Debatte? Die Medien haben sich weggeduckt oder haben sich „überreden“ lassen. Was wir in den vergangenen Jahren bis zur Verabschiedung im Bundestag erlebt haben war für mich ein Lehrstück in Manipulation, Desinformation, Intoleranz und Stumm-Schalten. Eine perfekt inszenierte Kampagne. Und über allem schwebt das bunte Regenbogenmäntelchen. Andere Farben, andere Statements, andere Flyer und Plakate sind tabu. Ich fühle mich nicht als Teil der queeren Community. Ich bin lesbisch und Feministin – und das ist auch gut so.
75 Jahre Grundgesetz und mir wird angst und bange. Geschichte wiederholt sich doch. Wie sagte schon Hedwig Dohm vor mehr als 100 Jahren: „Mehr Mut Ihr Frauen!“
Der Diebstahl unserer Frauengeschichte treibt seltsame Blüten. Amazonen, Suffragetten, Jeanne d´ Arc, Elisabeth I. sollen trans gewesen sein. – Meine Band, die „Flying Lesbians“, wurde schon als „Meilenstein der queeren Musikgeschichte“ bezeichnet. Geht‚s noch?? Wir waren lesbisch und nicht queer, sonst hätten wir uns Flying Queers genannt. Und das klingt richtig scheiße.
Selbst in wissenschaftlichen Publikationen kriegen Lesben Sterne verpasst. „Lesbische * Lebenswelten“ heißt die Arbeit einer Historikerin. Lesben mit Stern. Auf meine Frage, wen sie denn damit meine, antwortete sie: Sie wolle den vielen Lesben aus der Geschichte, die sich vor 100 Jahren vielleicht noch nicht Lesben nannten, gerecht werden. Das klingt ziemlich konstruiert. Aber das Sternchen passt doch zu gut ins ideologische Konzept der neuen, deutschen Sprach-Be„herr“schung. Wir wollen doch nicht, dass sich Kerle mit Penis wissenschaftlich irgendwie vernachlässigt fühlen.
Das Selbstbestimmungsgesetz ist durch. Im grün, gelb, roten Selbstbedienungsladen wird die Packung mit dem Inhalt „Frau“ aus dem Sortiment gekippt. Mann steht jetzt als Frau im Regal. Trotz der bunten Schleifchen eine schon reichlich angegammelte „Mogel“-Packung. Mit diesem Gesetz hat Lisa Paus, nach meinem Gefühl – vor allem mit ihrem Mantra „Transfrauen sind Frauen“- ihren ganzen verinnerlichten Frauenhass rausgehauen. Oder war es nur ganz banal ein politischer Kuhhandel mit der Lobby? Das recherchiert jedenfalls kein investigatives, „gemeinwohlorientiertes Medienhaus“. Jedenfalls geht Ministerin Paus damit in die Geschichte ein. Als frauenfeindlichste Frauenministerin aller Zeiten. – Wahrscheinlich ist es ihr egal. Die Pension ist ja sicher.
Wohlgemerkt: es geht mir nicht um die paar Transsexuellen, die unter Geschlechtsdysphorie leiden. Ich empöre mich, weil die Kampagne der Transaktivisten immer dreister wird.
Nie hätte ich gedacht, dass das Pendel einmal dermaßen – wie ich meine – nach r e c h t s ausschlagen würde. Dieser Backlash, der sich Fortschritt nennt, ist jedenfalls nicht links. Er ist reaktionär. Es hat mich kalt erwischt. Meine Welt wurde mir wie ein Teppich unter den Füßen weggezogen. Ich hätte es wissen müssen. Frauen haben kein Vaterland. Ilse Frapan hat das gesagt. Vor 120 Jahren. Sie war Radikalfeministin.
Wir haben kein Vaterland und keine Geschichte. Unsere Geschichte ist jetzt „queere Geschichte“. Alles unter einer Flagge. Aktivisten bemächtigen sich unserer Sprache, unserer Politik, unserer Kultur, unserer feministischen Netzwerke. Was nicht gefällt, wandert in den Giftschrank, anderes wird einfach weggeschmissen. Genau wie in George Orwells „1984“ wird die Wahrheit verdreht. Der Raubzug durch unsere Geschichte geht weiter. Wohin sollen wir unseren Nachlass bringen? Welches Archiv wird demnächst unsere Schätze hüten? Schon jetzt knicken Lesben- und Frauenarchive ein. Ein Sternchen hier, eins dort.
Frauen beschleichen die gleichen Ängste wie 1933. Die Nazis hatten Listen unliebsamer Regimegegnerinnen. Viele Frauenvereine schlossen sich dem neuen Regime freiwillig an. Andere Gruppierungen lösten sich auf, um nicht einkassiert zu werden. Viele Aktivistinnen flohen ins Exil. Frauen wurden ermordet. Unter den jüdischen Opfern viele Frauenrechtlerinnen.
Ich bin Journalistin. Als ich Anfang der 70er Jahre an der FU Berlin Geschichte studierte, gab es nichts über Frauen. Aber ganz lustige Stories. Zum Beispiel über die Amazonen. Der Prof. aus der Abteilung Alte Geschichte erzählte, die Amazonen hätten sich eine Brust ausgebrannt, um ihren Bogen besser spannen zu können. Das ist natürlich Quatsch. Ich habe es ausprobiert. Eine weiche, weibliche Brust stört noch weniger beim Bogenschießen, als ein fetter Schmerbauch. Und den brennen sich die Kerle ja auch nicht weg.
Mir fällt ein Zitat von Christine de Pizan ein. Die Autorin des Buches „Stadt der Frauen“ schrieb vor 600 Jahren: „Im gleichen Maße, wie der Körper einer Frau weicher ist als der des Mannes, ist der weibliche Verstand schärfer.“
Wir stehen auf den Schultern unserer Schwestern. Ohne feministische Historikerinnen gäbe es keine Frauen- Geschichtsforschung. In den 90ern wurde daraus ruck, zuck die Genderforschung. Also wieder alles m i t dem Mann. Wie ein kleiner, knatschiger Bruder hängt er uns am Rockzipfel. Wie heißt es so schön: „Wenn Du fliegen willst, musst Du erst den Mist loswerden, der Dich runterzieht.“ Also Schwestern, lasst uns fliegen!
Als Studentinnen haben wir in den 70ern jedes Seminar gestürmt, jede Vorlesung. „Hey, wo sind die Frauen? Was wollten sie?“ Wir wussten längst mehr als die Profs, die übrigens alles Männer waren. Wir hatten die Archive und privaten Antiquariate in Berlin und anderen Städten durchkämmt. Wir entdeckten in staubigen Regalen, was die Nazis bei der Bücherverbrennung 1933 übersehen hatten. Und was glücklicherweise von Menschen versteckt worden war.
Es war, als würden wir Frauen einen neuen Planeten betreten. Unseren Planeten. Das ganze verschüttete Wissen: Frauen in der Frühgeschichte, zur Zeit der Hexenverfolgung, französische Revolution, die Frauen der 1848er Revolution, Piratinnen, Frauenzünfte, Mädchenbildung, Frauenstudium, Arbeiterinnen, Ärztinnen, erste Frauenbewegung, Lesben, Suffragetten, das Wahlrecht, Friedenskonferenz Den Haag, Frauen in der Weimarer Republik, Partisaninnen im spanischen Bürgerkrieg, Frauen in der NS-Zeit, Frauen im Widerstand. Opfer und ja: auch die Täterinnen.
Frauengeschichte ist ja kein Wunderland. Zu allen Zeiten gab und gibt es auch die Frau als Kriegsgewinnlerin, Mitläuferin, Verräterin.
Verrat. Den Frauen, die um 1600 als sogenannte Hexen verfolgt wurden, kann ich keinen Vorwurf machen. Sie wurden so lange mit glühenden Eisen gequält, bis sie die Namen anderer Frauen verrieten. Die „heilige“ Inquisition – nichts anderes als ein groß angelegter Femizid. Ein gut geschmiertes Räderwerk. Eine Geldmaschine. Der Besitz der Frauen fiel in die Hände von Kirche und Staat.
Nur ein Beispiel: am 16. Juli 1629 wird Anna Matzet aus Mergentheim in Franken verhört. Sie weiß, sie hat keine Chance, aber sie kämpft wie eine Löwin, haut sogar wütend mit der Faust auf den Tisch. Unter der Folter schließlich dreht sie den Spieß um und beschuldigt ihre Peiniger der Hexerei. Dem Schöffen Schneider schreit sie ins Gesicht: „Denk mal an Deine eigene Frau, die ihr als Hexe verbrannt habt“.
Die Französische Revolution. Sie gilt ja als Wiege der Demokratie. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. Brüder waren nicht alle: ausgenommen waren Juden, Schwarze, das Proletariat und die Frauen. Nur die weißen Reichen sollten sich verbrüdern. Für Olympe de Gouges ein Skandal. Sie schrieb ihre „Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin“. Ein kluges, grandioses Werk. Gleiche Rechte für Frauen. Überall. Leider wurde ihr die Widmung an Königin Marie Antoinette zum Verhängnis. Der Vorwurf: De Gouges sei eine reaktionäre Royalistin. So wie es heute heißt, wir wären alle rechtsradikal und von Rechten finanziert. Killerphrasen – damals wie heute.
Dank der feministischen Geschichtsforschung ist Olympe de Gouges nicht vergessen. Trotzig rief sie: „Die Frau hat das Recht auf ein Schafott zu steigen, sie muss auch das Recht haben, auf eine Rednertribüne zu steigen.“ Sie starb am 3.November 1793 unter der Guillotine. Nur einer von unzähligen Morden der „revolutionären“ Genossen. Alles im Namen des Fortschritts.
Fortschritt. Mir drängt sich ein Vergleich mit heute auf. Die Operationen, die Lebens langen Hormone. Experimente. In 50 Jahren werden sie wieder sagen: davon habe ich nichts gewusst.
So wie die massenweise Genital-Verstümmlung von Frauen Ende des 19.Jahrhunderts vergessen ist. Die Mediziner hatten den Uterus entdeckt. Natürlich gibt es lebensbedrohliche Unterleibserkrankungen. Damals aber wurde eine neue „Frauenkrankheit“ kreiert. Die Hysterie. Um sie davon zu „heilen“, wurde tausenden Frauen die Gebärmutter entfernt. In Psychiatrien und Armenhäusern wurden sie mit Elektroschocks und kalten Bädern gequält. Widerstand, Schreie und Wutausbrüche sah man als Beweis für die Hysterie an. Ein Teufelskreis aus dem es kein Entkommen gab. Die US-amerikanische Psychotherapeutin Phyllis Chesler hat in ihrem Buch „Frauen – das verrückte Geschlecht“ über die Zwangsmaßnahmen berichtet und darüber wie Frauen krank gemacht „werden“. Medizin im Namen des Fortschritts. Damals wie heute.
Übrigens: von einer männlichen Hysterie mit massenweisen Kastrationen, zur Vorbeugung von Gewaltexzessen ist mir nichts bekannt. Ein Mann lässt sich nicht beschneiden. Weder in seinen Rechten noch untenrum. Frauen aber sind wehrlos – weil sie rechtlos sind.
Genitalverstümmlung ist das grausamste Verbrechen an kleinen Mädchen. Es existiert nach wie vor. Auch Transitionen sind nicht immer freiwillig. In Asien boomt das Geschäft. Allein in Bangkok gibt es 20 Kliniken mit je 200 Operationen jährlich. Nicht wenige junge Menschen landen als Ladyboys in der Prostitution. Das Internet ist voll mit Angeboten dieser Art. Frei zugänglich. Das ist die schwarze Seite der bunten Vielfalt.
Wir können davon ausgehen, dass Elisabeth Selbert viele Beispiele aus der Frauengeschichte kannte. Nicht zuletzt, weil Anita Augspurg, eine radikale Aktivistin aus der ersten Frauenbewegung und ebenfalls Juristin wie Selbert, schon Jahre zuvor betont hatte: „Die Frauenfrage ist in allererster Linie eine Rechtsfrage.“
Elisabeth Selbert hat sich nicht als Feministin bezeichnet, aber sie war eine sehr erfolgreiche Kämpferin für Frauenrechte.
Was würde sie zum SBGG sagen? Dieses woke Dingsda ist doch nichts anderes als ein Frontalangriff auf den von ihr durchgesetzten Artikel 3, Abs 2 des Grundgesetzes. Noch heißt es da: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Sollen jetzt in letzter Konsequenz alle erdenklichen, gefühlten Geschlechter ins Grundgesetz? Wird es dann irgendwann heißen: „Männer und alle anderen Geschlechter sind gleichberechtigt“? – Niemals! Dies ist eine Demokratie und kein Wunschkonzert.
Die Freiheit der Frauen ist ein immerwährender Kampf.
Das Patriarchat zieht alle Register, um Frauen zu behindern.
Zu spät haben wir erkannt, dass Männer im Patriarchat wirklich alles dürfen: sogar Frauen werden. Jedenfalls das, was sie dafür halten. Die Geschichte lehrt uns, dass wir nichts geschenkt bekommen. Freiwillig gibt kein Kerl etwas her.
Ich habe das Gefühl, dass wir dringend Unterstützung brauchen. Ich rufe daher die Schwestern von gestern. Vielleicht können sie ja zaubern: Sappho, Christine de Pizan, Artemisia Gentileschi, Olympe de Gouges, Emma Herwegh, Amalie Struve, Louise Otto-Peters, Camille Claudel, Hedwig Dohm, Emily, Christabel und Sylvia Punkhurst, Helene von Druskowitz, Minna Cauer, Valerie Solanas, Phoolan Devi, Naval El Saadawi, Verena Stefan, Maggie Töpfer.
Ihr wisst ja, brave Mädchen kommen in den „Gender“-Himmel – alle anderen aber kommen überall hin.
In diesem Sinne – lasst uns aufbrechen!