Män­ner und Frau­en sind gleich­be­rech­tigt – Gesine

31. Mai 2024

Rede von Gesi­ne
auf der Ver­an­stal­tung „75 Jah­re Grund­ge­setz:
Wir ehren Dr. Eli­sa­beth Selbert“

am 25. Mai 2024 in Kassel

In unse­rem GG steht in Arti­kel 3:

Män­ner und Frau­en sind gleichberechtigt.

Die­ser Satz muss­te erkämpft wer­den. Im Jahr 1949 war die Vor­stel­lung einer Gleich­be­rech­ti­gung der Geschlech­ter kei­nes­falls eine Selbst­ver­ständ­lich­keit. Eli­sa­beth Sel­bert, an die wir heu­te erin­nern wol­len, nahm die­sen Kampf auf, trotz des Gegen­winds, den sie bekam. Car­lo Schmid, SPD- Poli­ti­ker ver­such­te ihr zu erklä­ren, dass die Tat­sa­che, dass Frau­en den Män­nern recht­lich nicht gleich gestellt sind und sie in eini­gen Berei­chen auf die Geneh­mi­gung ihres Man­nes ange­wie­sen sind, doch dem Schut­ze der Frau­en diene.

Und Her­mann von Man­gold (CDU) äußer­te, er kön­ne es sich nur schlecht vor­stel­len, dass ein Mann in einer Ehe die Kin­der ver­sor­gen solle.

Eli­sa­beth Sel­berts Kampf für den Arti­kel 3 im GG war trotz aller Wider­stän­de erfolg­reich, nicht zuletzt des­halb, weil  Frau­en aus allen Tei­len der Repu­blik hin­ter die­ser For­de­rung stan­den und die­se mit Ein­ga­ben an die Regie­rung unterstützten.

Es ist gut, dass es die­sen Arti­kel gibt, aber wie sieht es mit der Umset­zung aus? Die gesetz­li­che Rege­lung, dass Ehe­män­ner den Arbeits­ver­trag ihrer Ehe­frau­en frist­los kün­di­gen konn­ten, wenn das Essen nicht pünkt­lich auf dem Tisch stand, wur­de erst im Jahr 1977 abge­schafft. Und auch heu­te noch stimmt die gesell­schaft­li­che Rea­li­tät nicht mit Arti­kel 3 über­ein. An drei Punk­ten lässt sich das festmachen:

Zum einen an der

Rol­len­ver­tei­lung:

Sowohl Kin­der­be­treu­ung als auch Haus­ar­beit sind  immer noch über­wie­gend Frau­en­sa­che. Wäh­rend ein Mann durch­schnitt­lich 0,8 Stun­den pro Tag mit Haus­ar­beit ver­bringt, sind es bei Frau­en 2,3 Stun­den. Und wäh­rend fast 2/3 der Müt­ter ange­ben, dass die Betreu­ung der Kin­der ihre Erwerbs­tä­tig­keit beein­flusst, sagen das nur 15% der Väter über ihre Situation.

Der zwei­te Punkt hängt eng mit der Rol­len­ver­tei­lung zusam­men. Es geht um die

Ver­dienst­un­ter­schie­de:

Laut Sta­tis­ti­schem Bun­des­amt hat sich   der pro­zen­tua­le Unter­schied der Löh­ne von Män­nern und Frau­en in den letz­ten Jah­ren sogar noch ver­grö­ßert. Im Durch­schnitt erhal­ten Frau­en monat­lich 1.192 Euro weni­ger Brut­to­ge­halt als Män­ner. Das hat natür­lich mit der wei­ter­hin bestehen­den Rol­len­ver­tei­lung zu tun. Frau­en arbei­ten öfter als Män­ner in Teil­zeit und haben öfter Erwerbs­bio­gra­phien, die durch Erzie­hungs­zei­ten unter­bro­chen wurden.

Der drit­te Punkt ist die

Part­ner­schafts­ge­walt:

Auf das Jahr gerech­net wird in Deutsch­land fast täg­lich eine Frau von ihrem Part­ner oder Ex-Part­ner ermor­det. Sta­tis­tisch gese­hen wird alle 45 Minu­ten eine Frau Opfer von gefähr­li­cher Kör­per­ver­let­zung durch Part­ner­schafts­ge­walt. Und es ist davon aus­zu­ge­hen, dass die Dun­kel­zif­fer noch wesent­lich höher liegt. Es ist ein Skan­dal, dass in die­sem rei­chen Land aktu­ell 14tausend Plät­ze in Frau­en­häu­sern feh­len und Frau­en in Not abge­wie­sen wer­den müssen.

So weit, so schlecht! Aber was kön­nen wir  dafür tun, dass Arti­kel 3 Rea­li­tät wird, dass es zu einer wirk­li­chen Gleich­be­rech­ti­gung, zu einer wirk­li­chen Befrei­ung der Frau kommt?

Ich mei­ne, ein wesent­li­cher Schritt zur Selbst­be­stim­mung über das eige­ne Leben für Frau­en ist, dass der Unter­drü­ckung die mate­ri­el­le Grund­la­ge ent­zo­gen wird.

Denn es ist doch so:

Die Fami­lie und die Arbeit, die dort ver­rich­tet wird, ist eine fes­te Säu­le der kapi­ta­lis­ti­schen Wirt­schaft. Gesell­schaft­li­che Repro­duk­ti­ons­ar­beit /Ca­re-Arbeit schafft zwar an sich kei­nen Pro­fit, aber sie ist not­wen­dig um alles am Lau­fen zu hal­ten, um Men­schen zu ver­sor­gen, sie gesund zu hal­ten und arbeits­fä­hig zu machen.

Es ist die  Vor­aus­set­zung für Lohn­ar­beit.  Die­ser repro­duk­ti­ve Bereich, die Care-Arbeit wird im Kapi­ta­lis­mus Frau­en zuge­schrie­ben. Sowohl vom Kapi­tal als auch vom Staat wird die­ser Arbeit ein geringer(er) Wert zuge­schrie­ben als der Pro­duk­ti­on von Waren. Das soll sicher­stel­len und auch recht­fer­ti­gen, dass die­se Art von Arbeit bil­lig bzw. unent­lohnt stattfindet. 

Aber: die­se Arbeit ist gesell­schaft­lich not­wen­dig und muss des­halb auch gesell­schaft­lich orga­ni­siert werden.

Was wir dafür brau­chen, ist ein mas­si­ver Aus­bau des Sozialstaates: 

  • Zum Bei­spiel einen Aus­bau an Betreu­ungs­plät­zen und ‑ange­bo­ten, an Ganz­tags­schu­len, die qua­li­ta­tiv hoch­wer­tig und bezahl­bar sind und es bei­den Eltern­tei­len ermög­li­chen, arbei­ten zu gehen.
  • Zum Bei­spiel die  gesell­schaft­li­che Auf­wer­tung der klas­si­schen Frau­en­be­ru­fe, die sich nicht im Klat­schen vom Bal­kon aus aus­drückt, son­dern in höhe­ren Löh­nen und bes­se­ren Arbeitsbedingungen.
  • Zum Bei­spiel die Ver­wirk­li­chung einer alten For­de­rung: eine radi­ka­le Redu­zie­rung des „Normal“arbeitszeitverhältnisses für Män­ner und Frau­en bei vol­lem Lohn- und Personalausgleich.

Davon wür­den im Beson­de­ren die Teil­zeit­be­schäf­tig­ten, unter denen ein Groß­teil Frau­en sind, profitieren.

Es wür­de aber auch den Bedürf­nis­sen von Voll­zeit­be­schäf­tig­ten ent­spre­chen, die bei Befra­gun­gen immer wie­der ange­ben, sich mehr Zeit für sich, für Part­ner­schaft und Fami­lie zu wünschen.

Die­se Punk­te wären wich­ti­ge ers­te Schrit­te auf dem Weg einer Ver­wirk­li­chung des Art 3 . Sie wür­de es Frau­en und (auch Män­nern) ermög­li­chen, Fami­lie und Erwerbs­ar­beit zu ver­ein­ba­ren, sie wür­den Frau­en finan­zi­ell unab­hän­gig von ihren Ehe­män­nern wer­den lassen.

Doch weder eine gute Kin­der­be­treu­ung noch bes­se­re Löh­ne wer­den ein­fach vom Him­mel fal­len. Sie wer­den erkämpft wer­den müs­sen, denn sie sind nicht im Inter­es­se der herr­schen­den Klas­se die­ses Lan­des. Die­se hat der­zeit ein ganz ande­res Inter­es­se als wir: sie trom­meln unüber­hör­bar die Kriegs­trom­mel und ste­cken Mil­li­ar­den in die Auf­rüs­tung die­ses Lan­des. Die­ses Geld fehlt, für Betreu­ungs­plät­ze, für bes­se­re Arbeits­be­din­gun­gen und höhe­re Löh­ne, für Frau­en­häu­ser. Und sie erwar­ten von uns, dass wir die­sen Kurs mit­tra­gen oder wenigs­tens still­schwei­gend akzep­tie­ren. Der Chef des Wirt­schafts­for­schungs­in­sti­tuts Ifo ver­tritt die Mei­nung, dass an Kür­zun­gen im Sozi­al­be­reich kein Weg vor­bei­geht. Er drück­te es so aus: Kano­nen und But­ter kann es nicht geben!, und er erwar­tet, dass wir still­schwei­gend auf die But­ter ver­zich­ten. Wir aber kön­nen uns die But­ter nicht neh­men las­sen, nein, wir müs­sen noch viel mehr But­ter for­dern, um unser Ziel, die wirk­li­che Gleich­stel­lung von Frau­en und Män­nern, zu errei­chen. Und dies kann uns nur im Frie­den gelin­gen. Des­halb sage ich: neh­men wir uns ein Bei­spiel an Eli­sa­beth Sel­berts Durch­hal­te­ver­mö­gen und Mut und kämp­fen in unse­rem Umfeld, im Betrieb, in der Gewerk­schaft, auf der Stra­ße für den Frie­den, für den Aus­bau des Sozi­al­staa­tes, für die Befrei­ung der Frau und letz­ten Endes  für die Befrei­ung aller Menschen!

Weitere Reden der Veranstaltung "75 Jahre Grundgesetz: Wir ehren Elisabeth Selbert"

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